Übersetzung: Isa Mannino
Noch bevor es ein Film über die Behinderung ist , würde ich sagen, dass dieser Film ein Film über das Eltern werden ist, wortwörtlich über wie man als Eltern geboren wird. Wie geschieht diese so intime, radikale und unumkehrbare Transformation ? Wie wird man Mutter? Wie wird man Vater? Die romantische Vorstellung, dass diese Transformation von selbst geschieht, dank einer garantierten Liebe, durch die einfache Tatsache gegeben, dass man ein neues Leben in seinen Armen hält, wird oft enttäuscht. Eltern wird man nur, weil man Teil einer Beziehung wird, und wie in jeder Beziehung erfolgt die Umwandlung der beteiligten Parteien innerhalb eines Prozesses, welcher mehr oder weniger komplex , mehr oder weniger langsam, aber in jedem Fall nicht a priori gegeben ist.
In Gegensatz zu dem was oft allgemein gedacht wird, sogar Mutter werden ist nicht nur eine Tatsache, eine Transformation die einfach durch die Geburt eines Kindes resultiert. Beim Mutter-werden, kann man manchmal unterstützt, oder behindert werden, von physiologischen begleitenden Veränderungen. Wenn man Mutter eines Kindes wird, welches in dem eigenen Leib gewachsen ist, muss man mit den hormonellen Veränderungen rechnen und die Beziehung wird eine zusätzliche leibliche Komponente haben, welche beiden helfen könnte, sich kennen zulernen, aber auch dazwischen liegen könnte, und paradoxerweiser auch die Beziehung Mutter-Kind behindern.
In dem Film „Die Hausschlüssel „ gibt es einen Mann, der a priori die Reise verweigert, Vater zu werden. Während der Geburt stirbt die Mutter, die Ärzte erwähnen, dass das Kind Probleme haben wird, und er will ihn noch nicht einmal sehen. Paolo, das Kind, wird bei den Onkeln und Tanten aufwachsen und diese, zwölf Jahre später, stellen ihm die Rechnung : der Vater soll Paolo nach Berlin begleiten und ihn während seiner Therapien unterstützen.
Ist dieser Mann ein brutaler Mensch? Ist er ein niederträchtiger und unsensibler Mensch ?
Nein, das ist er gar nicht. Schon in der ersten Szene sehen wir ein Mann, der vor unsere Augen entblößt steht, sich irgendwie dem Kind annähern möchte, aber er ist dazu gar nicht in der Lage, er ist absolut unfähig.
Während wir das Film mit den Mitarbeitern von Artemisia gesichtet haben, haben wir uns gefragt, ob dieser so hilflose Charakter nicht mit seiner Vernachlässigungsgeschichte in Kontrast stehen würde. Abgesehen davon, dass das realistische Drehbuch relativ Prägnant ist, da wir in unserem Alltag sehr oft nicht-realistische und paradoxe Geschichten wiederfinden können, persönlich finde ich die Entscheidung des Drehbuchautors sehr interessant. Der tiefe Schmerz über den Verlust der Freundin und die für ihn unüberwindbare Angst um die Konfrontation mit einem Kind mit Problemen, verursachen die Abtreibung des „Vater-werden“ gleich am Anfang. Das hat nicht mit Bösheit, mit Brutalität oder Schuld zu tun, es ist einfach nur der Schrecken/das Entsetzen, diese Reise zu unternehmen und Verantwortung zu übernehmen. Das sind Aspekte, die viel menschlicher und wahrer sind, als Bösheit.
Zwölf Jahre später diesem Mann bietet sich eine neuen Chance und er nimmt sie an, obwohl er keine Ahnung hat, wie er damit umgehen soll. Derjenige, der ihn an die Hand nehmen wird und der ihn begleitet in dieser Reise ist genau der Sohn Paolo. Er ist derjenige, der das Eis bricht – „Sie haben mir gesagt, dass du mein Vater bist“, sagt er – und die Antwort ist nur Schweigen : der Vater ist noch nicht Vater!
Es ist Paolo der sich – trotz seine körperliche und intellektive Behinderung – mit absoluter Selbstverständlichkeit und Harmonie bewegt. “ Ich mache es alleine!“. “ Vergiss nicht, erstmals den anderen Arm reinzuziehen, sonst tust du mir weh!“ Und die ganze Starre dieses Mannes, der neben ihm steht, wirft das Licht auf die Umkehrung der Rollen. Zunächst zwischen Vater und Sohn : der Sohn ist der eigentliche Vater, er hilft ihm zu wachsen und Vater zu werden. Und dann auch zwischen „normal“ begabte Mensch und „Mensch mit andere Fähigkeiten“: der Vater ist total ungeignet und bedürftig (UN-Fähig) gegen die Natürlichkeit des Sohnes, geht weg, wenn der Sohn eine Blutabnahme hat (was für Paolo eine Kinderspiel ist), vergisst die Medizine und wird von Paolo deshalb beschimpft.
Vater von diesem Kind zu werden, bedeutet sich von ihm führen zu lassen, ihm zu vertrauen und bereit sein, auf diese Reise zu gehen. Es sieht so aus, als hätte Paolo alle die Instrumenten, dem be-/ver- hinderte Vater zu assistieren : „Brauchst du Schmusen/liebkosen?“ – fragt er ihn während der kathartische Zusammenbruch am Ende der gemeinsame Reise und des Films und er versäumt nicht, ihn gütig zu schimpfen : „So macht man aber nicht!“.
Und es ist wirklich so. Ich bin Mutter von drei Kinder, Giacomo, Elena und Anna. Auch mein Mutter-sein ist nicht mir vom Himmel gefallen, ich habe es mir erworben, ich erwerbe und erkämpfe es mir jeden Tag und manchmal passiert es, dass ich mich den Kinder anvertrauen muss. So ist es mit allen drei, aber besonders mit Giacomo, der Erstgeborene, der das Downsymdrom hat.
Die Geburt eines Kindes mit eine Diversität zerstört ganz am Anfang jegliches pädagogisches Handbuch. Du bist da mit andere Müttern, die sich Sorgen machen, ob das Kind zu viel weint, ob es genug gegessen hat, ob der Stuhlgang ein bisschen zu hart war und du hast nur ein Gedanke im Kopf: wie wird er mit 20 J. sein, er und Freundschaft, er und die Liebe, wird er Sex haben, wird er immer bei dir sein, wird er arbeiten? Er ist da mit dir, aber für dich ist sehr schwierig „hier und jetzt“ mit ihm zu sein, du schwebst woanders…in einer hypothetischen Zukunft ohne Antworten, es ist zerreisend. ER ist aber immer da mit dir, er schaut dich an, er sucht dich, er erledigt vorbildlich seinen Job als Sohn und versucht auch deine Unfähigkeit „Mutter zu sein“ zu kompensieren. Wo du nicht hinkommen kannst, kommt er hin. Er macht den Sohn ohne „Mangel“ , weil er diesen gar nicht wahrnimmt, zumindest am Anfang der Reise und im Grunde genommen aus seinem Blickwinkel hat er gar keine.
Wie in den Film erzählt wird, ein Kind aufzuziehen, vor allem ein Kind, das anders ist, kann deine eigene Unfähigkeit, deine Unsicherheiten, deine dunkle Seiten aufdecken. Es spiegelte deine eigene Behinderungen und zwingt dich, dich selber zu überwinden. In dem Film wird auch die Geschichte von einer anderem Mutter eines behinderten Mädchens erzählt, die sich mit dieser Reise schon seit Jahren konfrontiert ist, sie hat eine Stabilität erreicht und lebt zusammen, mehr oder weniger, friedlich mit ihren Geistern. Sie ahnt sofort, wie neu alles für diesen Vater ist und versteht seine ungeschickten Versuche, Vater zu sein.
„Er scheint besorgt, verlegen, als ob er sich bei den anderen für die Störung entschuldigen müsste“, sagt sie über ihn. Sie fügt hinzu: „Das eigentliche Problem bestimmter Kinder ist nicht die Krankheit, sondern die Eltern“.
Und wenn wir diese Kinder zu vertrauen beginnen, wenn wir merken, dass sie in sich selbst alle Ressourcen haben, um ihr Leben in den Griff zu kriegen, und dass sie manchmal auch welche für dich übrig haben, dann erkennen wir, welche Wunder diese zur zweit gebaute Beziehung mit sich bringt. Am Ende ist das, was uns schließlich zu Eltern macht.
Auf der Fähre nach Norwegen schmeißt der Vater die Krücken von Paolo ins Meer. Er scheint erkannt zu haben, dass sein Sohn, metaphorisch, keine benötigt.
Und erst jetzt fühlt er sich frei zusammen zu brechen und findet den Mut, um Hilfe zu bitten.